Hier ein Interview mit Schauspieler und langjähriger Kumpel Nikolai Will (31) aus Köln.
Hallo Nikolai!
Hallo Simon!
Wie geht’s dir?
Momentan kann ich ausnahmsweise mal nicht klagen. (lacht)
Woran liegt’s?
Weil es jetzt grad mal gut läuft, wie es das ganze Jahr nicht der Fall war. Ich hab mich acht, neun Monate so durchgewürgt, hatte hier und da mal einen Schauspiel-Job. Und jetzt seit zwei, drei Monaten hole ich plötzlich alles nach, was ich die ersten neun Monate nicht verdient habe. Ich habe fast jede Woche einen Schauspiel-Job. Ich weiß natürlich, dass es nicht so bleibt, genieße aber grad den Luxus, dass es so ist.
Was hast du zuletzt gedreht?
Das war ein Schulungsfilm für ein medizinisches Institut. Der Film war für ein neu entwickeltes Spiel, dass nennt sich „Kompetenzsspiel“ und ich habe einen schizophrenen Lehrer gespielt. Das sind Sachen, dir mir besonders viel Spaß machen. Ich finde es in der Schauspielerei am interessantesten, wenn ich die Chance habe, ein Krankheitsbild darzustellen. Da habe ich mich gefreut, dass machen zu können und gleichzeitig auch noch Geld dafür zu bekommen.
Wie fing das an bei dir mit der Schauspielerei?
Ich bin Ende 1997 durch einen Verwandten – der zweitälteste Sohn meiner Tante, bei der ich aufgewachsen bin – auf eine Kontaktanzeige aufmerksam gemacht geworden, weil die Verwandten wussten, dass ich total gerne Theater spiele. Da hat eine freie Bühne einen Workshop gegeben. Der war jeden Dienstag und ich bin immer hingegangen. Irgendwann hieß es dann „Wir machen ‚Arsen und Spitzenhäubchen'“ und es gäbe noch kleinere Rollen zu besetzen und da habe ich meine erste Rolle bekommen. Februar 1998 war die Premiere und ich habe den Polizisten ‚Klein‘ gespielt, passend zur Größe der Rolle. (lacht)
Wann war klar, dass du Schauspielerei beruflich machen willst?
Als Neunjähriger wollte ich mal Architekt werden, weil ich durch unseren Untermieter mitbekommen habe, dass die viel Geld verdienen. Die bekommen 10% von dem, was das Haus wert ist. Aber abgesehen davon, war mir schon immer klar, dass ich schauspielern wollte. Ich weiß nicht, ob mir schon immer bewusst war, dass man das auch zum Beruf machen kann. Fest steht aber, als ich ganz sicher wußte, dass ich es werden möchte, so in der achten oder neunten Klasse, hat die ganze Schule für mich keinen Sinn mehr gemacht und ich wurde schlechter und schlechter. Ich wusste nicht, wozu ich Mathematik, Physik und Chemie brauche, wenn ich doch Schauspieler werden möchte.
Es gab auch nie eine Alternative für dich?
Doch, mir fällt ein, ganz kurz wollte ich mal Journalist werden. Ich hab mal ein Praktikum beim „Sonntagsblatt“ bei uns in Würzburg gemacht. Da durfte ich Bildunterschriften schreiben, nicht der Rede wert. (lacht) Da war ich vier oder fünf Wochen. Das wäre das einzige, was ich mir noch hätte vorstellen können. Also als Journalist zu arbeiten und Kritiken oder ähnliches zu schreiben.
Gibt’s eine Rolle die du als deine wichtigste bisher ansiehst?
Ich muss sagen, dass ist immer noch meine erste Rolle, der geistig-behinderte Jugendliche, den ich in dem Kurzfilm „Seeking Philipp“ gespielt habe. Der Film hat auch viel Zuspruch bekommen und den Bayrischen Jugendfilmpreis gewonnen. Da stand ich zum ersten Mal vor der Kamera und mir wurde schauspielerisch kaum geholfen, ich hab alles selber gemacht. Trotzdem hat das die Leute so beeindruckt.
Und jetzt aktuell gibt’s wieder einen Kurzfilm, auch wenn ich etwas enttäuscht war, dass der Film zwar gute Kritiken von Leuten bekommen hat und jeder begeistert ist von meiner schauspielerischen Leistung. Aber auf Festivals hat er überhaupt nicht seinen Weg gemacht, der Film heißt „Kleines Püppchen Teddybär“. Da habe ich einen pädophilen jungen Mann gespielt. Hier habe ich mir die Aufgabe gestellt, dass zu spielen ohne in einen typischen Hollywood- oder Fernsehklischee zu verfallen. Ich habe wirklich ernsthaft über diese Krankheit recherchiert und mich über betroffene Personen informiert, um ein unreißerisches Bild darzustellen.
Wer ist dein schauspielerisches Vorbild?
Javier Bardem! Man kennt ihn aus dem aktuellen James Bond-Film, da spielt er den Bösewicht. Er ist für mich der beste Schauspieler auf der Welt. Da kommt kein Robert De Niro, kein Al Pacino und einfach überhaupt keiner ran. Er hat eine unfassbare Wandlungsfähigkeit von ganz charmant in „Vicky Christina Barcelona“ über seine Oscarrolle in „No Country For Old Men“ bis zu „Das Meer in mir“, wo er einen querschnittsgelähmten spielt – der Typ kann echt alles spielen! Man kann sich jeden Film mit ihm anschauen, er ist immer anders und immer überzeugend. Das ist auch das, was mich am meisten an der Schauspielerei interessiert: Die Verwandlung! Das steht für mich an oberster Stelle. Für mich ist das größte Kompliment, wenn die Leute zu mir sagen, dass sie mich nicht wiedererkannt haben. Habe deshalb auch grossen Spass gehabt mich für eine Computerspielproduktion, in der ich als reale Person auftauche, in eine Frau zu verwandeln.
Welche Filme haben dich schauspielerisch beeinflusst?
Alles was Javier Bardem gespielt hat, wie z.B. in „Das Meer in mir“. Dann noch die beiden Oscarfilme mit Sean Penn: „Mystic River“ und „Milk“. In „Mystic River“ spielt er einen harten, leidenden Typen, weil so weit ich weiß seine Tochter umgebracht wurde. Und dann spielt der selber Schauspieler, was ich nie für möglich gehalten habe, unfassbar einfühlsam in „Milk“ einen schwulen Politiker. Wenn man sich die beiden Filme hintereinander anschaut ist man total geflasht. Weitere Filme sind noch „Der Club der toten Dichter“ und „Spurlos“, aber der niederländische Originalfilm. „Little Miss Sunshine“ find ich auch großartig. Aber ich mag auch deutsche Filme sehr, wie aktuell grad „Oh Boy“, bei dem man in jeder Rolle richtig gutes deutsches Schauspiel sieht.
Gibt es deiner Meinung nach auch einen bekannten Film, der überbewertet wird?
„Die Wolke“, eine Bestseller-Verfilmung eines Buches, das die Leute aus der Schule kennen. Das war ein Film, der mich einfach aufgeregt hat, weil ich ihn von der Psychologie der weiblichen Hauptfigur unglaublich peinlich fand. Da stirbt deren kleiner Bruder, fünf Minuten später springt sie wieder fröhlich durch die Gegend, um sich dann wieder fünf Minuten später pathetisch auf die Knie zu werfen und in den Himmel zu schreien. Die Verfilmung fand ich panne.
Und welcher Film ist zu unrecht weitgehend unbekannt geblieben?
Da gibt’s vor allem deutsche Filme. Oftmals heißt es von Einheimischen, dass wir deutschen keine guten Filme machen können. Alle finden immer das amerikanische Kino so toll. Die Tragik ist, dass wir deutschen unsere Filme nicht gut vermarkten können. Man kriegt immer nur die Til Schweiger-Filme mit. Aber es gibt total viele kleine klasse Filme, die wir haben. Da muss ich nochmal „Oh Boy“ nennen, sensationeller Film! Dann noch Picco, dass war auch ein großartiger, intensiver Film. Ein richtig satirischer, gewagter und frecher Film war „Muxmäuschenstill“. „Napola“ und „Sophie Scholl“ sind großartiges Schauspielkino. Deutsche Filme werden viel zu wenig wahrgenommen.
Heinrich Schafmeister hat mal gesagt „Schauspielerei ist der schönste Beruf, den man nicht weiterempfehlen kann“. Was sagst du dazu?
Der Mann hat recht, ja. (lacht) Man kann den Beruf für sich selbst verantworten, möchte ihn aber gleichzeitig anderen nicht zumuten. Man vergisst schnell die Schattenseiten. Sobald ich wieder einen bezahlten Schauspiel-Job habe, vergesse ich schnell die vier Monate vorher, wo ich mich echt durchgewirtschaftet habe mit irgendwelchen Nebenjobs, weil einfach kein Geld über die Schauspielerei rein kam. Dann kommt auf einmal – wie jetzt grad bei mir – eine Sache nach der anderen, aber genauso weiß ich, dass das auch schnell wieder aufhört. Wenn man spielen kann und dafür bezahlt wird, ist es der schönste Beruf auf der Welt und ich kann mir nichts anderes vorstellen. Wenn man nicht bezahlt wird, hängt echt alles am seidenen Faden der Ideologie. Aber ich liebe einfach nichts mehr als Filme und verliere nie den Reiz, mich in eine andere Figur zu verwandeln. Es gibt keinen anderen Beruf, der diese Vielfältigkeit bietet. Auch wenn es abgedroschen klingt: Ich lebe nur einmal und möchte das tun, wozu ich mich berufen fühle und nicht das, worin mich vielleicht meine Umgebung gerne sehen möchte.
Angenommen, ein 16-jähriger kommt auf dich zu und sagt, dass er auch Schauspieler werden will. Was sagst du dem?
Dann verweise ich ihn auf meinen Blog, den ich mal gemacht habe. (lacht) Nachdem ich nämlich immer wieder von 16-jährigen Mädchen angeschrieben wurde, die mitbekommen haben, dass ich Schauspieler bin und Tipps haben wollten, habe ich einen Artikel darüber geschrieben, auf was es ankommt. Das erste, was ich dann immer sage: Willst du Schauspieler werden, weil du berühmt werden willst dann vergiss es! Wenn derjenige aber sagt, dass er nicht anders kann, dass er es toll findet in Rollen zu schlüpfen, dass er es auch hinnehmen kann, schwer über die Runden zu kommen und sich keinen anderen Beruf vorstellen kann, nur dann kann ich es empfehlen. Es ist nämlich schon wie ein Gelübde, was man da eingeht.
Warum warst du nie auf einer Schauspielschule?
Zuerst hatte ich überhaupt nicht das Selbstbewusst sein mich an Schauspielschulen zu bewerben, obwohl ich mit 16-17 schon auf der freien Bühne gespielt habe. Dann habe ich mitbekommen, dass man bei der Aufnahmeprüfung auch singen muss und dass kann ich mal überhaupt nicht. Ich hab erstmal weiter freies Theater gespielt und bin dann irgendwann nach Köln gegangen und habe auch noch überlegt, auf eine Schauspielschule zugehen. Dann habe ich zufällig mal einen Quereinsteiger getroffen, der meinte, dass das, was ich mache echt gut sei und ich einfach weiter Filme drehen soll, ich würde das schon hinkriegen. Später ist mir dann natürlich auch über die Jahre bewusst geworden, dass es Sachen gibt, die ich nachholen musste. So habe ich mit Nick Dong Sik einen guten Schauspiel-Coach gefunden, bei dem ich sehr viel gelernt habe. Besonders schwere Rollen wie z.B. einen Pädophilen erarbeite ich dann auch mit ihm.
Mittlerweile haben mir viele Leute bestätigt, dass ich mich vor anderen Schauspielern nicht verstecken muss. Ich habe inzwischen ca. 200 Rollen vor der Kamera gespielt. Inzwischen finde ich sogar so einen Beruf Learning-by-Doing und unter realen Bedingungen auszuüben, anstatt in geschlossenen Räumen, bringt einen eher weiter. Grad zuletzt habe ich eine Rolle bekommen, bei der es ca. 350 Bewerber gab, ich habe wohl auch eine gewisse Authentizität, die andere nicht haben. Gerade bei Absolventen von privaten Schauspielschulen kommt es vor, dass diese, bevor sie einiges gedreht haben, etwas steriles und künstliches an sich haben.
Gibt es eine Rolle in einem bekannten Film, die du supergerne gespielt hättest?
Ja gibt es, auch wenn ich sie auf der Bühne schon gespielt habe: Harold in „Harold in Maude“. Die Rolle hat alles. Sie darf tragisch-komisch sein, hat aber auch ihre ganz großen Ausbrüche. Vom netten, nerdigen Müttersöhnchen bis zum absolut düsterem steckt alles in der Figur drin. Man kann unglaublich viele Facetten mit diesem Charakter zeigen.
Kommen wir zu den vier letzten Fragen, die ich immer stelle.
Was ist dir wichtig im Leben?
Am wichtigsten ist mir grad, dass ich nächstes Jahr in eine größere Wohnung umziehen werde. Die Wohnung, die ich jetzt habe, ist einfach viel zu klein. Dann ist mir wichtig nach langer Zeit wieder eine Beziehung zu haben. Und ich will irgendwann sagen können, dass ich komplett von der Schauspielerei leben kann.
Eine Lebensweisheit.
Du hast nur ein Leben, mach was draus.
Wenn findest du besser: Die Ärzte oder die Toten Hosen?
Die Ärzte. Das liegt daran, dass ich sehr gehinrgewaschen bin von dem Interviewer hier. (lacht) Und außerdem finde ich an den Ärzten gut, dass das drei coole Typen sind und man jeden interessant findet. Bei den toten Hosen gibt’s nur einen, den Rest kennt man nicht. Die Ärzte machen auch immer Hammer-originelle Videos, bei denen man gerne mitspielen würde.
Welche Frage wurde dir noch nie gestellt und wie lautet die Antwort?
Nikolai, woher hast du deinen fantastischen Körper? – Keine Ahnung, naturgegeben! (grinst)
Danke für das Interview, Nikolai!
Besucht aucht Nikolais Homepage: www.nikolaiwill.de
Alle Fotos bis auf Bild Nr. 3 von Simon Taal